Portrait einer starken jungen Frau (von Ulrike Krawagna, 14.10.2020)
Vor 5 Jahren traf sie gemeinsam mit ihrer kleinen Familie die Entscheidung, Heimat und Familie zu verlassen. Sie nahmen dabei den Weg, den damals viele Syrerinnen und Syrer nahmen.
Dabei trug sie ihr fast neugeborenes Baby am Arm und hatte die zweijährige Tochter an der Hand, als sie mit dem kaputten Schlauchboot, welches ihr Lebensgefährte steuern musste, einfach ins Meer geschoben wurden….
Nun fast 5 Jahre später, 26 Jahre alt, hat sie sich für ihre Kinder fast alleine und selbstständig ein neues Leben aufgebaut. Sie hat eine Ausbildung zur Pflegeassistentin mit Auszeichnung abgeschlossen und arbeitet nun mit Freude Vollzeit in einem Pflegeheim in Graz. Die kleine Tochter besucht die erste Klasse Volksschule und der kleine Sohn den Kindergarten. Sie sind angekommen in einem neuen Leben.
Welchen Weg sie jedoch diese fünf Jahre gehen musste, wie viele Entbehrungen, Überwindungen und wie viel Kummer sie überwinden musste, ist für die meisten von uns nicht vorstellbar.
Ein Blick zurück: Als sie endlich nach der bedrohlichen Überfahrt über das Mittelmeer und dem Marsch über die Balkanroute in Österreich gelandet sind, wurden sie getrennt. Sie musste mit dem neugeborenen Baby ins Krankenhaus, die Strapazen waren zu groß gewesen. Inzwischen wurden die Tochter und der Lebensgefährte in ein anderes Quartier gebracht. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder gefunden haben und schließlich in der Nähe von Graz eine vorläufige Bleibe bekommen hatten.
Hier traf ich sie das erste Mal, schüchtern aufgrund der Sprachbarriere und bescheiden. Sie verbrachten dort ein ganzes Jahr, während ihr Asylantrag bearbeitet wurde, zu viert in einem Zimmer. Ich hörte sie fast nie klagen, schon gar nicht wollte sie um Hilfe bitten. Ihr Lebensgefährte tat sich viel schwerer als sie, sich mit der neuen Situation abzufinden, auch heute noch. Ich glaube, auch wenn dies nicht so schien, hatte sie schon damals genau im Blick, wohin ihr Weg gehen sollte.
In den nächsten Jahren sollten aber noch viele schwere Zeiten auf sie zukommen. Sie leidet sehr unter der Trennung von ihrer Familie, die sie sehr vermisst, aber auch das Leben, das sie kannte. Verzweifelt musste sie von der Ferne mitansehen, wie es zu neuerlichen Angriffen auf die Stadt ihrer Familie kam, die Leid und Tot brachten, auch in ihrer Familie.
Hier in Österreich, zwar in Sicherheit, aber trotzdem nicht „Zuhause“ in dieser Kultur, war sie ständig gefordert, von der starren Bürokratie und den Vorurteilen. Sie war froh über die Möglichkeiten, die ihr hier geboten wurde, es war aber oftmals schwer schaffbar sich zurecht zu finden. Sie wurde dabei nicht alleine gelassen, einige ehrenamtliche UnterstützerInnen begleiteten sie dabei. Dennoch verlangte es ihr viel ab, viel Energie und viel Kraft sich da jedes Mal wieder durchzubeißen. Sie hat die Herausforderung angenommen und hat die meisten Herausforderungen überwunden.
Sie schaffte es fast eigenständig Deutsch zu lernen und sich einen Platz in einer Ausbildung zur Pflegeassistentin zu erarbeiten. Nebenbei kümmerte sie sich liebevoll und mit viel Aufmerksamkeit um die beiden Kinder. Sie schickte sie, sobald es möglich war, in den Kindergarten bzw. die Kinderkrippe. Es war ihr besonders wichtig, für die Kinder optimale Voraussetzungen für ihren weiteren Bildungsweg zu schaffen. Auch die beiden lernten super-schnell die deutsche Sprache, sodass die kleine Tochter in diesem Jahr sogar ohne zusätzliche Deutschförderung in die erste Klasse einsteigen konnte.
Es war eine harte Zeit für sie, da ihr Lebensgefährte auch für einige Zeit nicht bei ihnen lebte und sie alles alleine schultern musste. Ich glaube, es gab viele Nächte in denen sie entweder aus Sorge oder aus Müdigkeit nicht schlafen konnte. Es war und ist eine ständige Herausforderung, sich in eine neue Welt, eine neue Kultur einzufügen und trotzdem „Ich“ zu bleiben und einen wichtigen Teil der Identität nicht aufzugeben.
Bescheiden ist sie immer noch, aber inzwischen ist aus der schüchternen Person eine tolle starke junge Frau geworden, die ich sehr bewundere, für alles, was sie bisher geleistet und geschafft hat. Dafür war sehr viel Wille und auch sehr viel Stärke notwendig.
Ich hoffe für sie und ihre Familie sehr, dass sie wirklich ankommen, denn sie haben es sich sehr verdient!
