Bosnien-Konvoi Mai 2019 – Bihac / Velika Kladusa

Bericht von Ulrike Krawagna, 7. Mai 2019 Titelbild © Clément Martz

Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, indem man sie ignoriert

– Aldous Huxley

Seit Monaten ignoriert man jedoch in Europa die Situation in Bosnien-Herzegowina, wo seit der sogenannten Schließung der Balkanroute tausende Schutzsuchende stranden. Ohne Perspektive und ohne Plan wartet man darauf, dass sie von selbst wieder verschwinden. Und in der Zwischenzeit versucht man es ihnen so ungemütlich wie möglich zu machen. Notdürftig untergebracht und versorgt, geschlagen und aller persönlichen Gegenstände und Hoffnungen beraubt, versuchen sie trotzdem an ihr Ziel zu kommen: ein besseres Leben in der EU

Seit Monaten und Wochen erreichte uns eine Horrorgeschichte nach der anderen. Daher war es uns besonders ein Bedürfnis, die überforderte lokale Bevölkerung zu unterstützen. Sie, die es meist selbst nicht so einfach haben im Leben, müssen zusehen, wie Menschen in verlassenen Gebäuden Unterschlupf suchen, ohne Essen oder angemessene Kleidung.

Am Freitag, 5. Mai 2019, machten wir uns zu fünft auf den Weg. Mit einem Auto und einem Camper vollgepackt mit etwa 50 Schachteln Kleidung, Schuhe und Hygieneartikel starteten wir Richtung Bihac. Trotz anfänglicher Sorge an der Grenze gestoppt zu werden, erreichten wir ohne Probleme den Kanton Una-Sanna. Bei Ankunft fiel eines sofort auf: zwei Dinge gehören zum Stadtbild von Bihac neben dem wunderschönen Fluss Una, der sich mit klarem Wasser durch die Stadt schlängelt: Gruppen von Schutzsuchenden an vielen Ecken der Stadt und Straßenhunde.

Abends trafen wir uns mit den beiden lokalen Volonteers, Anela Dedic und Nurzekija (Nuna) Toromanovic, die vor Ort tagtäglich Tolles leisten. Wir besprachen den Plan für nächsten Tag, denn viel hatten wir uns vorgenommen.

Tag 1 Bihac

Der nächste Tag empfing uns mit strömendem Regen. Wir luden den größten Teil der Sachspenden bei Anela aus, denn an eine Ausgabe war bei dem Regen nicht zu denken.

Danach erledigten wir den Lebensmitteleinkauf, der dank großzügiger Spenden aus Österreich möglich war. Mit großer Verwunderung stellten wir fest, dass Lebensmittel und Hygieneartikel in Bosnien unverhältnismäßig teuer sind, wohl auch eine große Belastung für die lokale Bevölkerung. Wir luden die Lebensmittel bei Anela aus, wo sie gleich in Lebensmittel-Pakete aufgeteilt wurden. Bei der Ausgabe von Lebensmittel muss man vorsichtig sein, denn es gibt nie genug und schnell bilden sich sonst Trauben von Menschen bei den Autos. Das wiederum ruft sehr schnell die Polizei auf den Plan, was weitere Verteilungen unmöglich macht. Nuna nimmt daher Kontakt mit Schutzsuchenden im Camp auf, teilt sie in Gruppen auf und macht fixe Termine für die Ausgabe aus. So ist sicher, dass es zu keinen Tumulten kommt.

Ein „kleiner“ Teil des Einkaufs

Unsere nächste Station führte uns in ein Obdachlosenhaus, wo Menschen am Rande der Gesellschaft und ohne sonstige Unterstützung Unterschlupf finden. Unsere liebe Dada kümmert sich schon seit einiger Zeit um die Menschen vor Ort. Auch uns ist es wichtig, die lokale Bevölkerung zu unterstützen. Nach einer kleinen Irrfahrt durch Bihac auf der Suche nach der Unterkunft versorgen wir die Menschen mit Kleidung und einigen Lebensmitteln. Dada hat für alle noch einige liebe Worte übrig. Wir stehen daneben, traurig, aber trotzdem mit einem Lächeln auf den Lippen. Wir werden umarmt, als wir wieder gehen und versprechen wiederzukommen.

Wir fuhren weiter zum Camp „Bira“, wo wir auf einem Parkplatz davor mit einigen minderjährigen Schutzsuchenden ein Treffpunkt ausgemacht haben, um ihnen Rucksäcke, Schuhe und Schlafsäcke, die uns Martina und Chrisi  aus Graz für sie mitgegeben hatten, wie auch ein Lebensmittelpaket zu bringen. Martina und Chrisi waren selbst schon einige Male in Bihac und haben Kontakt zu einigen Schutzsuchenden, die auch schon seit einiger Zeit dort mehr oder weniger festsitzen.

Ohne Frühstück und ohne Mittagessen regte sich dann doch am Nachmittag der Hunger und wir genehmigten uns eine kurze Pause in einem Restaurant am Fluss. Nach der Stärkung machten wir uns gleich wieder auf den Weg. Wir wussten, Nuna würde gegen 18h auf einem Parkplatz in der Nähe des Camps beginnen, Lebensmittelpakete an vorher kontaktierte Gruppen auszuteilen.

Wir hatten noch ein wenig Zeit, daher beschlossen wir zu versuchen, einen kurzen Blick ins Innere des Camps zu werfen. Wir spazierten zum Eingang und wussten, dass wir vermutlich abgewiesen werden. Denn es wurde uns gesagt, es bedarf einer vorherigen Genehmigung vom IOM Hauptquartier, wenn man eines der Camps besichtigen will. Doch wir hatten Glück: nach einem kurzen Gespräch mit dem verantwortlichen Camp Leiter, erhielten wir Besucher-Pässe und wurden von einem Mitarbeiter am Eingang abgeholt.

© Clément Martz

Wir betraten die trostlose ehemalige Fabrikshalle, in die einfach Großraumzelte und Container hineingestellt wurden. Fast 2000 Menschen, hauptsächlich (junge) Männer nutzen derzeit das Camp, das sie aber jederzeit verlassen können. Einige wenige Familien sind aufgrund der Überfüllung der anderen Camps auch hier separat untergebracht. Viele junge Burschen stehen, sitzen oder hängen in der Halle herum, die keine andere Möglichkeit der Beschäftigung bietet. Für minderjährige Flüchtlinge gibt es einen kleinen abgetrennten Teil, wo man ein wenig Zeitvertreib wie Malen oder Federball anbietet. Sie schlafen entweder in Zelten oder schon fast „luxuriös“ in Containern, zusammengepfercht, null Privatsphäre. Wo die Duschen und Toiletten sind, haben wir nicht herausgefunden. Es soll aber welche geben.

© Clément Martz

Das Camp wird künstlich beleuchtet, denn nicht ein Lichtstrahl dringt von außen in die riesige und schmutzige Halle. Wir wurden herumgeführt, man musterte uns neugierig, als wären wir Inspektoren oder etwas Ähnliches. Die Menschen bekommen 3x pro Tag zu essen. Wie das funktionieren soll, fragen wir uns aber. Das „Restaurant“, das uns gezeigt wird, bietet kaum Platz für einen Bruchteil der Menschen dort. Lange Schlagen bilden sich. Das Essen ist karg und sehr einseitig. Wer kann, versorgt sich selbst. Weit entfernt sind wir hier vom „Five Star Hotel“, wie uns das Camp von unserem Guide präsentiert wird – es würde den Schutzsuchenden hier besser gehen, als der lokalen Bevölkerung….ganz daran glauben können wir nicht.

Unser Guide ließ uns alleine und wir bekamen die Gelegenheit mit den Menschen zu sprechen. Man erzählte uns von Versuchen über die grüne Grenze nach Kroatien und weiter nach Italien zu gelangen, was hier von allen „The Game“ genannt wird. Es wird uns von brutalen Übergriffen der kroatischen Polizei berichtet, von Schlägen und Tritten und dass man ihnen bei jedem Versuch persönliche Gegenstände wie Geld, Mobiltelefone und manchmal sogar Kleidung und Schuhe wegnimmt. Die meisten unternehmen mehrere Versuche, irgendwann kommen sie dann nicht mehr wieder zurück. Man nimmt an, sie hätten es geschafft. Die Menschen wissen davon, die Behörden auch.

© Clément Martz

Die meisten der jungen Männer, mit denen wir sprachen, kommen aus Ländern mit wenig bis Null Chance auf Asyl oder einem legalen Aufenthaltsstatus in der EU. Schaffen sie es über die Grenze, werden sie wohl jahrelang im Untergrund bleiben, ohne Perspektive auf ein geregeltes Leben. Die meisten haben andere Erwartungen. Sie denken, dass sich ihr Leben schlagartig ändert, wenn sie es nur endlich über die Grenze schaffen. Wir sind traurig, denn wir wissen, es wird nicht so sein, wie sie es sich wünschen.

Ein junger Mann erzählte uns, dass er nun schon seit 8 Monaten hier im Camp festsitzt, ohne Chance auf ein Weiterkommen. Zurück kann er auch nicht, zu sehr schämt er sich. Er wagt es nicht seiner Familie zu erzählen, dass er in Bosnien festsitzt. Von Zeit zu Zeit schickt er ihnen Fotos und vertröstet sie damit, dass er noch auf Papiere warten muss. Inzwischen ist ihm das Geld ausgegangen, die Familie erwartet aber Geldzahlungen von ihm, immerhin haben sie alle zusammengelegt, damit sie ein Familienmitglied nach Europa schicken können. Daher werden geschönte Bilder nach Hause geschickt, der Eindruck erweckt, wie toll und erfolgreich das Leben in Europa ist, was wiederum den Wunsch bei manch anderen weckt, es doch auch zu versuchen. Sie werden dann wohl auch in einem der Camps stranden….

Die Cleveren im Camp haben begonnen, kleine Business zu starten. Hier werden Nüsse angeboten oder dort kleine Speisen zubereitet und für 1-2 KM verkauft. So versucht man, ein bisschen Geld für den nächsten „The Game“-Versuch zusammenzukratzen.

Ein Teil von uns blieb im Camp und sprach weiter mit dem Menschen dort, während Dada, Nicola und ich zu Nuna auf den Parkplatz neben einem Supermarkt gingen, wo sie mit der Ausgabe der Lebensmittel begonnen hatte. Nuna und Anela haben hier , wie gesagt, ein cleveres System entwickelt. Denn sofort werden sie vom Campeingang aus gespottet und schnell bildet sich eine Menschentraube um das Auto. Daher werden Spenden nur gegen vorherige „Terminvereinbarung“ ausgegeben und die anderen sofort weggeschickt. Zu viele Menschen auf einem Platz ruft sofort die Polizei auf den Plan.

Es wird uns schnell klar, dass das, was am Vormittag noch wie ein Rieseneinkauf ausgeschaut ist, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Es würde mindestens einen Einkauf dieser Größenordnung wöchentlich bedürfen, und es wäre noch immer zu wenig. Diejenigen, die es geschafft haben, ein Lebensmittelpaket bestehend aus einem großen Sack Mehl, Kartoffeln, Zwiebel, Reis, Tomatensauce, Linsen, Öl, Gewürze, Schokolade und Müsliriegel für etwa 5-6 Personen zu ergattern, schleppten ihre Säcke erfreut ins Camp zurück.

Wir sammelten Clément und Andreas ein, die noch immer umringt von der Gruppe junger Burschen vor dem Campeingang plauderten. Wir ließen den Tag nach einem Spaziergang durch Bihac in einem Restaurant ausklingen, unfähig die ganzen Eindrücke zu verarbeiten.

Am nächsten Tag setzten wir unsere Fahrt fort, ins circa mit dem Auto eine Stunde entfernte Velika Kladusa, der Grenzstadt im hügeligen Norden von Bosnien mit etwa 45.000 Einwohner. Hier ist die Situation ähnlich wie in Bihac und der strömende Regen machte das Ganze noch trostloser.

Die Situation vor Ort ist nicht besser, auch wenn wir diesmal an dem im Süden der Stadt befindlichen Camp vorbeifahren. Etwa 1000 Menschen soll das Camp beherbergen. Sie nutzen es wohl eher als Zwischenstop für „the Game“. Im Zentrum haben lokale Volonteers gemeinsam mit internationaler Unterstützung eine kleine Support Struktur aufgebaut. In einem Haus befindet sich der Free Shop, in dem es kostenfreie Kleidung und Schuhe gibt, sowie ein Raum für einfache medizinischen Versorgung. Die No Name Kitchen kocht – sofern sie genügend Spendenmittel zur Verfügung haben – für etwa 200 bis 300 Personen jeden Tag. Im angrenzenden Café gibt Möglichkeiten sich aufzuhalten, was bei dem Regen nicht unbedingt von Nachteil ist, oder sein Handy aufzuladen.

© Clément Martz

Wir ließen uns alles zeigen und übergaben Sach- sowie Geldspenden und nahmen nach einem kurzen Mittagessen Kurs auf Graz. Die Eindrücke werden uns wohl noch so einige Zeit begleiten. Und wir beschließen: wir werden mit Eurer Hilfe weiterhelfen und wiederkommen

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