Situationsbericht aus der Türkei

Graz:Spendenkonvoi August 2020

Ihr könnt Euch vielleicht noch daran erinnern, dass der türkische Präsident Erdogan Ende Februar 2020 erklärt hatte, die Grenze zu Griechenland bei Edirne im 3-Ländereck Türkei, Griechenland, Bulgarien wäre offen und wie daraufhin tausende Flüchtlinge und MigrantInnen versuchten die türkisch-griechische Grenze bei Pazarkule zu überqueren und dies ohne Erfolg, da die Griechen und damit die EU die Grenze fest geschlossen hielten. Es gab Tumulte an der Grenze, die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein und es kam sogar zu Schüssen.

Zu dieser Zeit reisten unsere FreundInnen von „Freedom of Choice“ in einen Vorort von Edirne, positionierten sich in einem Hotel und konnten von dort aus ins Sperrgebiet fahren, um in Kooperation mit anderen HelferInnen die dort lagernden vulnerablen Familien mit Kindern (zeitweise bis zu 14.000 Personen) mit dem Notwendigsten wie Essen, Hygieneartikel oder etwa Planen zum Schutz vor dem teils strömenden Regen zu versorgen.

Die Grenze hielt, die Festung Europa wurde nicht gestürmt und Ende März waren auch die letzten Personen erfolglos abgezogen bzw. in Bussen weggebracht und es kehrte wieder Ruhe an der Grenze ein. Im Juli fuhr ich für drei Wochen zu unseren FreundInnen auf Besuch, aber auch um mir einen Überblick über die Lage der Flüchtlinge im Großraum Istanbul und insbesondere an der Grenze zu Griechenland zu verschaffen.

Die Flüchtlinge waren aus den Augen, sind aber keineswegs aus dem Sinn oder gar verschwunden. In langen Gesprächen mit einer irakischen Flüchtlingsfamilie und mit unseren FreundInnen konnte ich einen Einblick gewinnen, wie es den Menschen auf der Flucht im verzweifelten Versuch streng bewachte Grenzen illegal zu überqueren erging. Ich erfuhr von der Omnipräsenz der Schlepper, die das „Grenzgeschäft“ fest in der Hand haben und Unsummen für ihre „Dienste“ verlangen, von Versuchen nächtens mit Schlauchbooten den Grenzfluss zu überqueren, von der Rolle die Taxifahrer dabei spielen, von den Aufgriffen durch die griechische Grenzpolizei und die illegalen Pushbacks in die Türkei durch diese. Von den langen Gewaltmärschen in der Nacht von der Grenze nach Thessaloniki, immer in Angst entdeckt zu werden und zurückgeschoben zu werden.  Die Erzählungen waren sehr authentisch und eindrucksvoll und gleichzeitig auch schonungs- wie hoffnungslos. Wenn man als Tourist Edirne und Istanbul bereist, kann man sich an der Schönheit der Städte und der Landschaft erfreuen und dies alles ignorieren bzw. gar nicht mitbekommen, da alles unter dem Radar der Öffentlichkeit geschieht, erst wenn man zu fragen beginnt und sich interessiert zeichnet sich ein ganz anderes Bild, welches zugleich erschreckend und traurig ist.

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