Marion Bock, 28.9.2020
Seit zwei Wochen ist N. 19 Jahre alt. Nächstes Jahr wird die Vorzugsschülerin am Abendgymnasium maturieren und wenn alles klappt mit dem Studium „Management internationaler Geschäftsprozesse“ beginnen. Und das, obwohl sie in den letzten Jahren fünf verschiedene Schulen besucht hat – 4 davon in Österreich.
Anfang 2017 kam N. als 15jährige mit ihrer Mutter und den zwei jüngeren Schwestern im Zuge der Familienzusammenführung von der Türkei, wohin sie aus Syrien geflohen waren, nach Österreich. Es dauerte über ein halbes Jahr, bis ihr Asylstatus anerkannt wurde. Während dieser Monate waren Mutter und Töchter in der Grundversorgung und bekamen monatlich ca. 500 € finanzielle Unterstützung. Als Asylwerberinnen hatten sie keinen Anspruch auf Familienbeihilfe, SchülerInnenfreifahrt und andere Unterstützungsleistungen. Deshalb mussten sie die vom Ehemann der Mutter gemietete Wohnung kündigen, weil sie zu fünft nicht von insgesamt knapp 1350 € an staatlicher Unterstützung leben konnten. Mutter und Töchter zogen in ein Caritasquartier, wo sie zuerst zu viert in einem Zimmer, später in einer 2 Zimmerwohnung lebten.
N. stieg in die vierte Klasse einer Neuen Mittelschule ein. Leider gab es keinen passenden Deutschkurs für sie – für den Kinderkurs war sie zu alt, für den Kurs für Erwachsene zu jung… Dank privater finanzieller Unterstützung absolvierte sie deshalb einen A2 Kurs am Wifi.
Trotz ihrer geringen Deutschkenntnisse war sie in der Schule bald unterfordert und langweilte sich. Schon damals war ihr großer Wunsch, nach der Schule ein Studium zu absolvieren. Deshalb wechselte sie nach Ende des Schuljahrs (also nach sechs Monaten in Österreich) in ein Gymnasium, wo sie leider das Pech hatte, auf eine Deutschlehrerin zu treffen, die ihr das Leben schwer machte, statt ihr enormes Potenzial zu erkennen, zu fördern und sie zu unterstützen. Obwohl ihre Deutschkenntnisse so gut waren, dass sie in allen anderen Fächern durchschnittliche bis gute Noten hatte, war der Deutschunterricht für N. innerhalb weniger Monate nur mehr mit Stress und Angst besetzt. Sie verließ das Gymnasium, lernte zu Hause selbständig in einem Monat den Stoff für die B1 Prüfung und wechselte in eine Übergangsklasse einer BHS, in der Hoffnung, ihre Deutschkenntnisse dort so verbessern zu können, dass ein problemloser Übergang in ein Gymnasium möglich wäre.
In dieser Übergangsklasse wurden Jugendliche, die unsere Schrift nicht konnten gemeinsam mit Kindern wie N., die im Gymnasium nur an der Deutschlehrerin gescheitert war, unterrichtet. N. war also innerhalb weniger Tage wieder komplett unterfordert und ihrem Ziel, bald wieder in ein Gymnasium wechseln zu können, keinen Schritt nähergekommen.
Inzwischen kannte sie sich im österreichischen Schulsystem schon sehr gut aus und entschied sich, in das Abendgymnasium zu wechseln, das sie nun seit 2 Jahren besucht. Sie ist eine ausgezeichnete Schülerin, die einige Maturafächer bereits vorziehen kann und 2021 vermutlich mit ausgezeichnetem Erfolg maturieren wird, obwohl sie parallel zum Schulbesuch arbeiten muss – mit dem 18. Geburtstag verlor sie als Schülerin nämlich den Anspruch auf die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (wäre sie keine Schülerin, sondern arbeitssuchend, könnte sie Mindestsicherung beziehen….). Österreichische Bildungspolitik at its best: Einerseits über das niedrige Ausbildungsniveau jammern, andererseits intelligenten, lernfreudigen, ehrgeizigen jungen Menschen den Bildungsweg mit Hürden verbauen…
Zum Glück lässt N. sich nicht von ihrem Weg und ihrem Traum, ein Studium absolvieren zu wollen, abbringen. Spätestens dann wird sie hoffentlich das Gefühl haben, hier richtig angekommen zu sein.
