von Ruth Seipel, 8.12.2020
S. , aus Afghanistan, kam im Alter von knapp fünfzehn Jahren im Dezember 2014 alleine nach Österreich. Als er in Wien ankam, wusste er nicht wirklich, wie und wo er genau um Asyl ansuchen sollte. Er hatte irgendwo erfahren, dass in Traiskirchen Flüchtlinge sind. So hat er sich einfach selbst auf den Weg nach dorthin gemacht, dort geläutet und seine einzigen zwei Worte, die er in Englisch konnte, nämlich „no documents“, gesagt. Heute lachen wir beide herzlich über diese Geschichte.
Von Traiskirchen aus kam er in das Quartier am Semmering und von dort nach Graz in ein UMF-Heim in Graz.
S. war Analphabet in seiner Muttersprache. Er hat Deutschkurse, den Basisbildungskurs für Deutsch, Mathematik, Englisch besucht und ist dann in die externe Hauptschule gegangen. Während des Besuches der externen Hauptschule begann auch das Nachdenken über seine berufliche Zukunft und welche qualifizierte Ausbildung er anstreben wird. Wir entwickelten gemeinsam einen Plan A (positiver Bescheid im Asylverfahren) und einen Plan B (Asylverfahren ist nach seinem Plichtschulabschluss noch nicht abgeschlossen). Umweltschutz, Mülltrennung, die Erhaltung der Natur und keine Überproduktion von Lebensmitteln sowie kein Wegwerfen von Lebensmitteln sind seine gesellschaftlichen Themen, über die er viel nachdenkt. So war die Lehre als Umwelttechniker der Plan A. Da es für Asylwerber damals noch die Möglichkeit gab, eine Lehre zu absolvieren, wurde eine Verbindung von seinem Umweltgedanken mit dem Beruf des Koches, wie Umgang mit Lebensmitteln oder nachhaltiger Lebensmitteleinkauf hergestellt. S. hat dabei eine seiner Fähigkeiten, die ihn auszeichnen, eingesetzt – nämlich, flexibel zu sein, neue Möglichkeiten zu erkennen und mit seiner gewünschten Zukunft zu verbinden und diesen Weg dann konsequent zu gehen.
Im März 2017 begann er mit der Lehre als Koch in einem bekannten Grazer Ausflugsrestaurant. Zu dieser Zeit war er noch in der externen Hauptschule und hat seine Pflichtschulabschlussprüfungen während des ersten Lehrjahres sehr positiv abgeschlossen. Mit seinem Freund, der heute bereits ausgelernter Koch ist, hat er eine kleine, schöne Wohnung angemietet und gleichzeitig mit „Geld ansparen für die Zukunft“ begonnen. Er war Klassensprecher in der 1. Berufsschulklasse, hat seine zweite Berufsschulklasse mit „ausgezeichnetem Erfolg“ abgeschlossen und ist aktuell in der dritten und letzten Berufsschulklasse und wird im Frühjahr 2021 seine LAP machen. Seit knapp einem Jahr hat er die Aufenthaltskarte plus.
Doch S. ist mehr als nur ein zielstrebiger junger Mann, der sein Leben mit all den Alltäglichkeiten gut meistert, er ist nämlich ein sehr engagierter und herzensguter junger Mann. Während der gesamten Kurs-, Schul- und Lehrzeit hat er sich immer in Projekten engagiert. Er war dreimal, mit anderen jungen, erwachsenen Flüchtlingen, mit einer eigenen gebauten Figur Korsoteilnehmer beim Narzissenfest in Bad Aussee, hat die interne Projektleitung beim Patenschaftsprojekt des Vereines mentorus zu den Special Olympics übernommen, ist ein engagierte Läufer, wenn es wie beim Run4Unity oder dem DSG Adventlauf für einen guten Zweck zu laufen gilt und als Helfer tatkräftig anzupacken und er erledigt kleine Aufgaben im Mehrgenerationenhaus Waltendorf, wenn ihm dies heute zeitlich neben seiner Arbeit möglich ist.
S. steht als Beispiel für viele junge, erwachsene Flüchtlinge, die ihren Weg hier gehen. Doch für mich ist er etwas Besonderes, da ich für ihn seine „Mam“, so wie er mich liebevoll bezeichnet, bin. Und er wird seinen Weg weiterhin bewundernswert gehen, ein leidenschaftlicher Koch und ein nachhaltig denkender, handelnder Mensch sein, der uns mit seiner Offenheit, Herzlichkeit und seinem Fleiß begeistert.
