von Helga Schreiner
An meinem Alphabetisierungskurs, den ich mit Beginn des Jahres 2016 in einem Flüchtlingsquartier der Caritas einmal wöchentlich hielt, nahm auch Familie A. mit ihrem damals etwa 6-jährigen Sohn teil. Es stellte sich heraus, dass der Bub zwar durch eine Muskelerkrankung schwer behindert ist, aber eine sehr gute Auffassungsgabe und genügend Ehrgeiz hatte, sodass in dem halben Jahr bis zu seiner Einschulung lesen lernte und sich einen guten Grundwortschatz aneignete.
Die Familie gehört zu den Hazara, einer Volksgruppe, die in Afghanistan noch immer Repressalien ausgesetzt ist.
„Behinderte Kinder“ gelten in Afghanistan als Schande. Auf die Eltern dieser Kinder wird Druck ausgeübt, die Kinder soweit wie möglich von der Öffentlichkeit fernzuhalten. Eine adäquate Betreuung oder gar Förderung ist zumeist nicht gegeben.
Hier ist O.s Geschichte:
Ich heiße O. und bin 11 Jahre alt.
Ich bin in Afghanistan geboren und habe dort mit meinem Vater und meiner Mutter ein paar Jahre gelebt. Dort waren die Ärzte sehr schlecht und wussten nicht, welche körperlichen Probleme ich hatte.
Deswegen entschieden meine Eltern, dass wir nach Europa fliehen sollten. Sie verkauften alles was sie hatten, und wir machten uns auf den Weg nach Europa. Wir mussten über Berge klettern, rennen und mussten uns ab und zu verstecken. Mein Vater hatte mich die ganze Zeit auf dem Rücken, während wir ganze Länder überquerten. 2015 waren wir endlich in Österreich. Wir wurden zu einem Flüchtlingsquartier gebracht und lebten dort ein paar Monate.
Eines Tages wurde ich sehr krank und kam ins Krankenhaus. Dort verbrachte ich ca. einen Monat und als ich wieder gesund war, sagten die Ärzte, dass ich erst entlassen werde, wenn wir in einem besseren Heim untergebracht würden. Einige Tage später kamen wir in ein neues Heim. Dort lernten meine Eltern ich und zum ersten Mal Deutsch. Ich kam in die Volksschule und war ein guter Schüler.
Nach zwei Jahren wurden wir wieder in ein anderes Heim gebracht. Dann kam auch meine Schwester zur Welt.
Inzwischen wohnen wir in einer eigenen Wohnung, mein Vater besucht gerade ein B1 Kurs und meine Mutter macht ihren Schulabschluss. Seit heuer gehe ins Gymnasium und bin immer noch ein guter Schüler.
Ich bin froh, dass wir in Österreich sind.